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Ein Roman über Falknerei bzw. das Abtragen eines Habichts ist ein Spiegel-Bestseller. Das schien mir sonderbar, und weil mir dazu der Umschlag noch ausgesprochen gut gefiel, nahm ich es mit. Und dann stand es erst einmal im Regal. Lange schlich ich darum herum, einmal fing ich sogar an und legte es weg. Ich habe eine – woher auch immer rührende – furchtbare Abneigung gegen den exzessiven Gebrauch von Fachsprache, sei es unter Reitern, Jägern oder Modelleisenbahnern. Und dieses Buch ist voll von Fachbegriffen aus der Falknersprache – und das schreckte mich ab. Zugegebenermaßen ist es sicher eine große Leistung der Übersetzer, das Vokabular entsprechend umzuarbeiten (der Roman erschien im Original auf Englisch unter dem Titel H is for Hawk) – dennoch legte ich das Buch zunächst beiseite.

Als ich ein zweites Mal anfing, konnte ich mich besser darauf einlassen. Und dennoch ist der Anfang dieses Romans wie das Abtragen eines Habichts schwere Arbeit. Eine junge Akademikerin aus England verliert ihren Vater. Da sie mit ihm eine in früher Jugend wurzelnde gemeinsame Affinität zu Greifvögeln verbunden hatte, und weil ihr privates wie berufliches Leben sie in eine Sinnkrise gestürzt hatte, beschloss sie, einen Habicht abzutragen. Habichterei ist etwas ganz anderes als Falknerei, lernen wir. Habichte sind bösartiger und eigensinniger. Und Falken sind edler. Wie Porsches. Aber es passt weniger rein… Überhaupt scheint die Greifvogelwelt voller Vorurteile zu stecken.

Das Abrichten bzw. Abtragen eines Greifvogels ist ein anstrengendes Geschäft, das irgendwo beim Erlangen der Zuneigung beginnt und über Bestechung beim Brechen des Willens endet – also ein durchaus grausames Geschäft – aber voller Liebe und Zuneigung. Und so schwierig wie es klingt, so ist auch die Beziehung zwischen Mensch und Greifvogel. Macdonald beschreibt, wie immer wieder wichtige Entscheidungen in der Ausbildung des Vogels geplant werden, diese entziehen sich dann aber im weiteren Geschehen jeder Planbarkeit: Schwerfällig, melancholisch, depressiv, immer wieder voller Krisen und Rückschläge – so wird der gemeinsame Weg von Mensch und Vogel beschrieben. Und genau so verläuft auch die seelische Genesung der Erzählerin. Langsam aber sicher ist sie auch wieder in der Lage, ein Leben zu führen, mit Menschen zu interagieren – trotz einiger Rückschläge, die wiederum mit dem Vogel zusammenhängen. Parallel zur Beziehung zu Mabel, der Habichtdame entwickelt sich auch ihre Beziehung zu sich selbst und ihrer Umwelt.

Neben wundervollen Ausflügen in englische Landschaften, Gedanken zu Naturschutz und gesellschaftlichen Problemen waren für mich die Querverweise zu anderen Werken das eigentlich wirklich Gewinnbringende an dieser Lektüre. Der wesentliche Bezugspunkt ist hierbei der britische Autor Terence H. White (1906-1964), ein Englischlehrer mit Ambitionen und einer ziemlich zerstörten Psyche (Näheres findet sich für Interessierte in einem Kurzüberblick auf der englischsprachigen Wikipedia). Er ist übrigens der Autor der Romanvorlage zu Disneys Die Hexe und der Zauberer mit dem Titel Der König auf Camelot bzw. The Once and Future King. Außerdem – und das ist für diesen Zusammenhang wichtig – trug auch er einen Habicht ab. Dieses Unterfangen beschreibt White in seinem Werk The Goshawk – und die Parallelen beginnen tatsächlich schon beim Einband.

Helen Macdonald setzt sich nun mit diesem Werk auseinander – und überhaupt mit dem Leben und Werk Whites, so weit, dass man hier schon fast von einer White-Biographie sprechen kann. Sie greift die Erlebnisse des Autors mit seinem Habicht auf, beschreibt die Fehler, die er beging und ertappt sich manchmal selbst dabei, wie sie dieselben Fehler dann doch ebenfalls begeht. Im Abtragen des Habichts findet hier also auch die Auseinandersetzung mit einem weiteren Schicksal statt – dem Whites.

Ich bin vielleicht nicht der größte Fan dieses Romans geworden, für mich war es teils harte Arbeit, aber hinterher war es doch unglaublich lohnenswert. Es war ein Einblick in eine völlig andere Welt – und auch ein Türöffner zu neuen Literaturwelten. So denke ich doch tatsächlich, dass H wie Habicht die Kriterien für ein wahrhaft „gutes Buch“ erfüllt – gerade deshalb wundert es mich, dass es auf dieser ominösen Bestsellerliste stand…

Helen Macdonald: H wie Habicht, Ullstein 2015, als Taschenbuch 12,00 Euro (ISBN 978 3548376721)