Vom Betrügen und Betrogenwerden – Karen Maitland: Company of Liars

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davDieser historische Roman fiel mir in einem Geben-und-Nehmen-Regal in die und es klang so gut, dass ich es erst einmal in meine Nachttischschublade steckte und dort vergaß, bis…. Ja, bis wir anfingen, zu renovieren und ich „dat Konsölschen“ ausräumen musste. Und dann fing ich an, zu lesen und es ließ mich nicht mehr so richtig los. Auch wenn es teilweise schon an Arbeit grenzte, war dieser Roman ein erwähnenswertes Leseerlebnis.

Ich las ihn auf Englisch und stellte jetzt erst fest, dass er unter dem Titel Der Fluch der Gaukler auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Da englische Bücher auf mich immer noch eine gewisse, besondere Magie wirken, mag mein hier dargestelltes Urteil getrübt sein. Ich habe mir schon öfter Gedanken darüber gemacht, woran das liegen könnte, und ich bin inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass der Grund ist, dass ich Englisch einfach nicht so gut beherrsche wie meine Muttersprache – und dadurch nicht so schnell bemerke, wenn ein Buch nicht ganz so wundervoll geschrieben ist. Sprachliche Mängel oder Langatmigkeiten und durchschaubar fadenscheinige Formulierungen stören meinen Lesegenuss auf Deutsch regelmäßig, im Englischen fallen sie mir einfach nicht auf, da greift manchmal auch die Phantasie ein, um Lücken zu stopfen oder über sprachliche Gräben zu springen. Das macht das Leseerlebnis dann bildgewaltiger, angenehmer, wenn die Lücken kaschiert werden. Eine andere, sinnvolle Erklärung habe ich nicht dafür.

Company of Liars ist ein historischer Roman, der im England des 14. Jahrhunderts spielt. Eine buntgemischte Gruppe von Gauklern, Schaustellern und zwielichtigen Gestalten findet sich nach und nach zusammen, um vor der sich immer weiter ausbreitenden Pest Richtung Norden zu fliehen. Darunter ein einäugiger Reliquienhändler, ein junges Pärchen auf der Flucht, eine Hebamme, ein Zauberer, ein einarmiger Geschichtenerzähler, ein italienischer Barde mit seinem Schüler – und ein sonderbares Mädchen, das in den Runen die Zukunft lesen kann.

Die Mischung macht’s hier – und es ist wirklich ein schillerndes Trüppchen. Keiner traut dem anderen so richtig, alle sind auf ihre Art verschlagen und/oder sonderlich. Und – wie der Titel schon sagt: Sie alle sind (auf ihre Weise) Lügner. Jeder trägt ein Geheimnis mit sich, jeder hat andere betrogen und jeder rechtfertigt sich dafür anders. Anderen Menschen eine gute Geschichte zu präsentieren, bis man sie selbst glaubt, Menschen, denen es schlecht geht, Hoffnung zu geben oder sie mit Illusionen zu verzaubern – das ist das Handwerk dieser Gruppe. Immer tiefer wird die Gruppe auf ihrer Reise in den Strudel ihrer Lügen gezogen, verfolgt vom unreinen Gewissen, das auf ganz besondere Art über sie hereinbricht.

Und das alles findet statt in der historischen Kulisse des verregneten Pestjahres 1348, anschaulich wird geschildert, wie es sich mit der „Romantik des fahrenden Volkes“ verhielt – sie war schlicht nicht vorhanden, gerade in diesen Zeiten, in denen nicht einmal die Bauern genug Ernte einbrachten, um sich selbst zu versorgen. Eine zutiefst trübe, kalte und abstoßend grausame Zeit wird hier aufgezeigt, dabei kommt der Roman trotz einiger Grausamkeiten ohne die gattungstypische Vergewaltigerei und andere blutrünstige Schlachtereien aus. Leichen gibt es, auch zweifelhafte Hygiene und Verwesungsprozesse werden thematisiert, aber der Grusel, der aufkommt, verbreitet sich auf andere Weise: Er schleicht sich leise an, spielt mit Urängsten, bleibt aber dabei subtil und ist gut gemacht. Ich grusele mich beim Lesen nicht gerne und sehr selten. Hier lief mir schon der eine oder andere Schauer über den Rücken – und das war gar nicht so schlecht.

Und trotzdem, ganz ungeschoren soll der Roman hier nicht davonkommen. Es gab schon einige Punkte, vor denen zu warnen ist. Wer einen „reinrassigen“ historischen Roman erwartet, wird hier ob der eingewobenen Übernatürlichkeit Probleme bekommen. Für Phantasiefans geschieht hier eindeutig zu wenig. Und so bleibt unklar, ob und inwieweit hier nun überhaupt Unnatürliches geschieht oder schlicht Wahnsinn den Verstand benebelt. Eigentlich ist es ja schön, wenn genau das ungeklärt bleibt (davon leben E.T.A. Hoffmanns Werke schließlich seit 200 Jahren) – aber man muss das aushalten wollen. Wenn ich nicht dienstlich lese, habe ich da eigentlich gerne Klarheit. Nun ja…

Wer Überraschungen liebt, wird vom überraschenden Ende des Romans auch nicht recht überrascht sein – dafür klappern die sacht eingestreuten Hinweise zu laut auf dem Pflaster. Außerdem – das gebe selbst ich zu, der ich ein großer Fan von Büchern bin, „in denen nichts passiert“: Es hat seine Längen. Atmosphärisch mag das sinnvoll sein, aber… – einfach nur aber.
Hinterher hat man schon das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Wie beim Sport. Und auch das kann ein Gewinn bei Lektüre sein.

Ein kurzes Fazit: Ich würde es wieder tun – und werde das auch. Wenn mir wieder danach ist. Jetzt liegen erst einmal andere Bücher auf dem Stapel. Aber Karen Maitland hat noch andere Romane verfasst, wohl in einem ähnlichen Stil (über Informationen und Meinungen freue ich mich natürlich immer), unter anderem The Owl Killers oder The Raven’s Head. Klingt gut und sieht hübsch aus (schließlich ist das auch wichtig). Ich werde im englischen Original bleiben. Ist einfach schöner, und wenn ich mir das auch nur vorgaukle – schließlich sind wir ja alle irgendwie Mitglieder in der Company of Liars

Karen Maitlands Company of Liars ist auf Deutsch unter dem Titel Der Fluch der Gaukler beim Scherz-Verlag erschienen (ISBN: 978-3502181020).

Von Greifvögeln und Menschen – Helen Macdonald: H wie Habicht

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Ein Roman über Falknerei bzw. das Abtragen eines Habichts ist ein Spiegel-Bestseller. Das schien mir sonderbar, und weil mir dazu der Umschlag noch ausgesprochen gut gefiel, nahm ich es mit. Und dann stand es erst einmal im Regal. Lange schlich ich darum herum, einmal fing ich sogar an und legte es weg. Ich habe eine – woher auch immer rührende – furchtbare Abneigung gegen den exzessiven Gebrauch von Fachsprache, sei es unter Reitern, Jägern oder Modelleisenbahnern. Und dieses Buch ist voll von Fachbegriffen aus der Falknersprache – und das schreckte mich ab. Zugegebenermaßen ist es sicher eine große Leistung der Übersetzer, das Vokabular entsprechend umzuarbeiten (der Roman erschien im Original auf Englisch unter dem Titel H is for Hawk) – dennoch legte ich das Buch zunächst beiseite.

Als ich ein zweites Mal anfing, konnte ich mich besser darauf einlassen. Und dennoch ist der Anfang dieses Romans wie das Abtragen eines Habichts schwere Arbeit. Eine junge Akademikerin aus England verliert ihren Vater. Da sie mit ihm eine in früher Jugend wurzelnde gemeinsame Affinität zu Greifvögeln verbunden hatte, und weil ihr privates wie berufliches Leben sie in eine Sinnkrise gestürzt hatte, beschloss sie, einen Habicht abzutragen. Habichterei ist etwas ganz anderes als Falknerei, lernen wir. Habichte sind bösartiger und eigensinniger. Und Falken sind edler. Wie Porsches. Aber es passt weniger rein… Überhaupt scheint die Greifvogelwelt voller Vorurteile zu stecken.

Das Abrichten bzw. Abtragen eines Greifvogels ist ein anstrengendes Geschäft, das irgendwo beim Erlangen der Zuneigung beginnt und über Bestechung beim Brechen des Willens endet – also ein durchaus grausames Geschäft – aber voller Liebe und Zuneigung. Und so schwierig wie es klingt, so ist auch die Beziehung zwischen Mensch und Greifvogel. Macdonald beschreibt, wie immer wieder wichtige Entscheidungen in der Ausbildung des Vogels geplant werden, diese entziehen sich dann aber im weiteren Geschehen jeder Planbarkeit: Schwerfällig, melancholisch, depressiv, immer wieder voller Krisen und Rückschläge – so wird der gemeinsame Weg von Mensch und Vogel beschrieben. Und genau so verläuft auch die seelische Genesung der Erzählerin. Langsam aber sicher ist sie auch wieder in der Lage, ein Leben zu führen, mit Menschen zu interagieren – trotz einiger Rückschläge, die wiederum mit dem Vogel zusammenhängen. Parallel zur Beziehung zu Mabel, der Habichtdame entwickelt sich auch ihre Beziehung zu sich selbst und ihrer Umwelt.

Neben wundervollen Ausflügen in englische Landschaften, Gedanken zu Naturschutz und gesellschaftlichen Problemen waren für mich die Querverweise zu anderen Werken das eigentlich wirklich Gewinnbringende an dieser Lektüre. Der wesentliche Bezugspunkt ist hierbei der britische Autor Terence H. White (1906-1964), ein Englischlehrer mit Ambitionen und einer ziemlich zerstörten Psyche (Näheres findet sich für Interessierte in einem Kurzüberblick auf der englischsprachigen Wikipedia). Er ist übrigens der Autor der Romanvorlage zu Disneys Die Hexe und der Zauberer mit dem Titel Der König auf Camelot bzw. The Once and Future King. Außerdem – und das ist für diesen Zusammenhang wichtig – trug auch er einen Habicht ab. Dieses Unterfangen beschreibt White in seinem Werk The Goshawk – und die Parallelen beginnen tatsächlich schon beim Einband.

Helen Macdonald setzt sich nun mit diesem Werk auseinander – und überhaupt mit dem Leben und Werk Whites, so weit, dass man hier schon fast von einer White-Biographie sprechen kann. Sie greift die Erlebnisse des Autors mit seinem Habicht auf, beschreibt die Fehler, die er beging und ertappt sich manchmal selbst dabei, wie sie dieselben Fehler dann doch ebenfalls begeht. Im Abtragen des Habichts findet hier also auch die Auseinandersetzung mit einem weiteren Schicksal statt – dem Whites.

Ich bin vielleicht nicht der größte Fan dieses Romans geworden, für mich war es teils harte Arbeit, aber hinterher war es doch unglaublich lohnenswert. Es war ein Einblick in eine völlig andere Welt – und auch ein Türöffner zu neuen Literaturwelten. So denke ich doch tatsächlich, dass H wie Habicht die Kriterien für ein wahrhaft „gutes Buch“ erfüllt – gerade deshalb wundert es mich, dass es auf dieser ominösen Bestsellerliste stand…

Helen Macdonald: H wie Habicht, Ullstein 2015, als Taschenbuch 12,00 Euro (ISBN 978 3548376721)

Ein Buch wie Fels, Wind und Wolle – Adam Nicolson: Sea Room

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Zum wiederholten Mal herrscht hier langes Schweigen, weil „man“ ja „zu nix kommt“. Daher habe ich irgendwann im zweiten Jahresdrittel angefangen, mir Notizen zu Büchern zu machen, die ich lese. Und das hat sich als sehr hilfreich herausgestellt, vor allem, weil es sich so ergeben hat, dass ich viele, viele lesenswerte Bücher entdeckt habe, die mir sonst durch die Hände geflutscht wären, weil ich sie wieder vergessen hätte – vor allem zu den Themen, die mich gerade interessierten, weil es genug Querverweise gab, denen es sich nachzugehen lohnte. Daher hängen viel der Bücher, die ich im Laufe dieses Jahres gelesen habe, irgendwie thematisch zusammen, so ergab sich beispielsweise der eine oder andere Ausflug in die englische Mythologie, zu Aberglauben und Kinderbüchern, auf die ich so nie gekommen wäre. Außerdem habe ich so einen viel besseren Überblick über das, was ich im Laufe des Jahres gelesen habe.

SearoomIm Vordergrund standen dieses Jahr einige englischsprachige Bücher, allen voran Werke von Adam Nicolson wie Sea Room. Diesen Autor entdeckte ich im Fernsehen – bei mare TV, einer meiner liebsten Sendungen. In einer Folge über die Hebriden stapfte dieser Mann in Regenjacke über seine eigene Insel, die sein Vater, selbst Autor und Enkel der berühmten Vita Sackville-West, irgendwann einmal gekauft hatte (muss ein Schnäppchen gewesen sein).

In Sea Room beschreibt Nicolson zunächst eben diese Inselgruppe, die Shiants, die zwischen Skye und Harris in der Meerenge The Minch liegt. Sie ist heutzutage unbewohnt, es gibt nur ein kleines Häuschen, in dem der „Lord of the Isles“ immer mal wieder absteigt (das man auch mieten kann, z.B, für einen Urlaub, wenn man’s ganz einsam mag: https://www.shiantisles.net). Er beschreibt, wie es ist, auf der Insel zu leben. Das ist bestimmt nicht immer schön, das ist auch mal lebensgefährlich und bedrohlich, wenn Wind und Regen kommen.

Nicolson nimmt den Leser mit auf seine Inselspaziergänge und entfaltet dabei die Geschichte der Inseln, von ihren Bewohnern und deren hartem Leben durch die Jahrtausende (wer sich für die Dokumentation der archäologischen Untersuchungen interessiert wird ebenfalls auf der Insel-Website fündig), über Eisenzeit und Eremiten, Schafhirten und Algensammler, Siedler und Vertreibung. Auch die jetzigen Bewohner, neben den Schafen die Seevögel, sind Thema. Vieles dreht sich hier um Ökosysteme und deren Schutz.

 Als Besitzer dieser Inselgruppe (und natürlich auch Abkömmling aus bekanntem und gutem Hause) setzt sich Nicolson auch mit dem Thema auseinander, wem diese Inseln denn nun wirklich gehören. Natürlich verpachtet der Autor die Inseln an Schäfer. Und natürlich gehören sie ihm – auf dem Papier – dennoch, ist nicht die Rede von Grundbesitz und Herrschaft. Vielmehr geht es um den Schutz, das Erhalten und Bewahren der Inseln mit ihrer Geschichte und ihrer einzigartigen Natur (v.a. Brutgebiete verschiedener Seevögel).

Sea Room ist die detaillierte Geschichte einer winzigen Inselgruppe im stürmischen Meer. Wer das Buch liest, atmet Seeluft, riecht Salz und die Hinterlassenschaften der Möwen. Für mich ein Buch, das Sehnsucht weckt, nach wilder, rauer Landschaft, nach Meer. Und dennoch ist es nicht verkitscht, es dokumentiert das harte Leben der Menschen in eben dieser gewaltigen Natur, zeigt aber dennoch die Liebe des Autors zur Natur und seinen Inseln. Unbedingt lesenswert – vor allem, wenn man sich für die Hebriden, Geschichte und Archäologie und Natur und Naturschutz interessiert. Einziger Nachteil ist, dass dieses Buch leider nur auf Englisch erhältlich ist.

Adam Nicolson: Sea Room. The story of one man, three islands and half a million puffins, HarperCollins 2001, ISBN: 978-0006532019

Summ, summ, summ – Laline Paull: Die Bienen

DSC_1021Das Leben der Bienen. Aus der Sicht einer Biene. Keine Sorge, der Roman ist kein seitenlanges Gebrumm und Gesumm. Hinter dem – sehr hübsch gestalteten – Cover verbirgt sich eine ganz andere Welt. Das sagt man ja schnell mal, aber das hier ist wirklich eine andere Welt. Der Roman nimmt uns mit in einen Bienenstock. Wir begleiten Flora 717, eine Säuberungsbiene. Ich will jetzt keine Abhandlungen über die gesellschaftliche Ordnung eines Bienenvolks verfassen (als könnte ich das!), nur so viel: Säuberungsbienen sind die rangniedrigsten Bienen. Aber – und das kommt nicht überraschend, sonst wäre ich vermutlich nach den ersten zehn Seiten eingeschlafen – Flora 717 hat (natürlich) besondere Fähigkeiten. Sie steigt innerhalb des Bienenstocks auf. Das passiert nicht leicht und nicht schnell in einer so starren Gesellschaft wie die der Bienen. Als echte Selfmade-Biene steigt Flora 717 sogar in den engeren Hofstaat der Königin und bis zu den Sammlerinnen auf. Sie kann und darf fliegen, und mit dem Entfalten ihrer Flügel scheint sich auch ihre Perönlichkeit zur Gänze zu entfalten. Sie darf nun den Bienenstock verlassen und erkundet eine für sie völlig neue Welt. Wir kommen mit auf ihre Entdeckungsreise und sehen unsere Welt mit ihren Augen. Natürlich hat es ein Emporkömmling aus den dunkelsten Ecken des Bienenstocks nicht leicht, bis ganz nach oben zu kommen. Aber Flora 717 meistert alle Anfechtungen und Widrigkeiten. Ein dummes, kleines Missgeschick bringt sie allerdings ganz besonders in Bedrängnis: Sie legt ein Ei. Ein Privileg, das nur der Bienenkönigin vorbehalten ist. Und das gibt Ärger.

Wie sehen und erleben Bienen die Welt? Nun, anders als wir Menschen. Und das macht den Einstieg in diesen Roman zunächst etwas schwierig. Laline Paull versucht, die Sinneswahrnehmung der Bienen in für Menschen wahrnehmbare Signale zu übersetzen. Wir riechen und schmecken mit den Füßen, reagieren plötzlich empfindlicher auf Feuchtigkeit und Vibrationen. Ein anfangs sehr ungewohntes Leseerlebnis. Aber auch sehr lohnenswert – einfach anders. Die teilweise bedrückende Enge des Bienenstocks wird spürbar, die erbarmungs- und gnadenlose Härte des Lebens in der strengen Bienengesellschaft nimmt gefangen. Nix Biene Maja – das ist harter Tobak, es wird gekämpft bis aufs Blut, um Leben und Tod und die festgefahrenen Strukturen, die Flora 717 durch ihr Anderssein angreift, schlagen immer wieder gnadenlos zurück – bis die selbsternannte Königin ihr eigenes Reich gründen kann.

Ein bienenstarkes Leseerlebnis, nicht unbedingt leicht, aber unterhaltend, dabei keine der Animationsfilmbienen-Komödien à la Bee Movie.

Laline Paul: Die Bienen ist 2014 erschienen beim Tropen-Verlag ISBN: 978-3-608-50147-6. Das Buch kostet summa summarum (haha!) 19,95€, als TaBu nen Zehner weniger.

Das geheime Leben der Bäume

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Irgendwann sah ich mal ein Interview mit Peter Wohlleben, dem Autor dieses Buchs, im Fernsehen. Und dann stand das (noch ziemlich neue) Buch im Geben-und-Nehmen-Regal in der Kirche. Da musste es einfach mit. Was mich genau erwartete, wusste ich noch nicht. Normalerweise tue ich mich mit derartigen Büchern etwas schwer, da wird mir das Lesen schnell zur Arbeit.

Das war hier definitiv nicht der Fall. Der Autor, selbst Förster, beschreibt seine eigenen Erfahrungen im Umgang mit Bäumen und „Wald“ im Allgemeinen und bringt interessante neue (zumindest für mich) wissenschaftliche Erkenntnisse zum „Sozialverhalten“ der Bäume ein: Bäume als soziale Wesen, die interagieren, sich helfen, sich absprechen können. Ein sehr aufschlussreiches Sachbuch, dass mich das Ökosystem Wald auf unterhaltsame Art ganz neu hat entdecken lassen.Wohlleben macht sich stark für eine Renaturierung des Waldes, gegen die industrielle Forstwirtschaft, zurück zu einer nachhaltigen und umweltschonenden Bewirtschaftung der heimischen Wälder. Es wird aber kein ökologischer Zeigefinger geschwungen, eines jedoch wird klar: So ein Wald ist komplexer als man zunächst denkt – da stehen nicht nur einfach so ein paar Bäume rum. Und dieses Ökosystem gilt es zu schützen. Denn es ist wertvoll und einzigartig. Bäume sind eben auch nur Menschen. Aber anders.

 

Peter Wohlleben: Das geheime Leben der Bäume, München (Ludwig) 2015, ISBN: 978-3-453-28067-0,  gut angelegte 19,99 €

 

Lektionen aus dem Krematorium

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Da ich einen gewissen Hang zum Morbiden und zu morbidem Humor habe, brachte mir mein treusorgendes Eheweib (die beste unter allen!) dieses sehr hübsch gemachte Büchlein mit.

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Auf den ersten Blick wirkt es doch recht humoristisch, der Titel klingt nach leichter Unterhaltung mit morbidem Unterton. Mit dieser Erwartung ging ich an die Sache ran. Und dann war’s um mich geschehen, ich habe das Buch in einem Rutsch durchgelesen. Unterhaltend ist dieses Buch, das stimmt. Aber es geht weitaus tiefer.

Die Autorin Caitlin Doughty ist 1984 geboren (ein wahrhaft guter Jahrgang). Sie erzählt hier ihre eigene Geschichte (weitgehend authentisch mit literarischen Aufhübschungen, will ich meinen). Nach dem Studium der Mediävistik arbeitete sie in einem kleinen Krematorium in Los Angeles, wohl weil sie Geld brauchte und sich für die Theamtik interessierte. Sie berichtet brutal ehrlich bis karikierend über ihre Tätigkeit und ihre Erlebnisse. Der Ton ist leicht ironisch, aber auch nachdenklich und tief ehrlich. Sie berichtet vom Umgang mit dem Tod in den Vereinigten Staaten, von einem Totenkult, von kostspieliger Einbalsamierung mit Pomp und Tata bis hin zur anonymen Kremation Obdachloser oder auch nur von Körperteilen, die der Wissenschaft zur Verfügung gestellt wurden. Nichts für leichte Mägen also – aber auch nichts für leichte Hirne. Denn die Autorin widmet sich der Frage, welche Rolle denn der Tod in unserer Gesellschaft einnimmt, und wie wir damit umgehen. Jetzt kann man sagen: „Ach, das ist doch in Amerika immer alles viel amerikanischer, man kennt das ja. Das hat mit gutem deutschen Bestatten nichts zu tun.“ Um darüber zu urteilen, kenne ich mich zu wenig mit dem deutschen Bestattungswesen aus, aber die Frage zu stellen, welchen Platz der Tod in unserer Gesellschaft einnimmt, ist wichtig und richtig: Den Tod als Teil des Lebens anzunehmen und auch zu feiern, das ist das Plädoyer der Autorin.

Hochinteressant!

Wer sich – wie ich – nach dem Buch weiter mit dem Thema beschäftigen will, dem seien zusätzlich die Kanäle angepriesen, auf denen sie unterwegs ist:

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Caitlin Doughty: Fragen Sie Ihren Bestatter. Lektionen aus dem Krematorium, München (C.H. Beck) 2016, ISBN: 978-3-406-68820-1, Preis unbekannt (und ein Gentleman recherchiert hier auch nicht, wenn’s ein Geschenk war…)

Mönsch, Äwwin! Thomas Krüger: Erwin, Enten & Entsetzen

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DSC_0991Den ersten Teil hatte ich dereinst als Hörbuch zu mir genommen. Die Geschichte um den Gummistiefel-Detektiv Erwin Düsedieker aus Versloh-Bramschebeck geht aber weiter. Dieser Band ist nach „Erwin, Mord & Ente“ und „Entenblues“ schon Nummer drei. Logischerweise sind auch drei Ermittlungsenten dabei – Lothar und Lisbeth, zwei weiße Laufenten und deren Nachwuchs, Alfred. Alfred ist schwarz. Nun ja. Honi soit qui mal y pense…

Da ich Teil zwei bisher verpasst habe (ich muss zugeben, dass mich das große Brimborium, in dem sich hinterher alles verstrickte und man im Bramschebecker Hinterland eine monströse Altnazi-Bunkeranlage entdeckte, ein wenig ver- und gestört hat), habe ich einige Entwicklungen verpasst.

Für alle die, die nun gar nicht wissen, wovon ich hier eigentlich spreche: Erwin Düsedieker ist der – leicht zurückgebliebene, aber doch wohl recht schlaue – Sohn des ehemaligen Dorfpolizisten von Bramschebeck, einem kleinen Dorf im Nirgendwo vermutlich (ost-) westfälischer Beschaulichkeit. Er wohnt mit seiner Laufente Lothar und dessen Familie in der ehemaligen Polizeiwache, in der er sich mit einer goldenen Badewanne in seiner umfangreichen Bibliothek recht komfortabel eingerichtet hat. Zum Ermittlungsteam gehört auch Arno Wimmelböcker, hauptberuflich betrunken und ein Freund des Hauses. Er lebt zusammen mit Hilde Gerkensmeier auf einem Hof in Bramschebeck und arbeitet dort (je nach dem mehr oder weniger intensiv) daran, den Hof flott und die Wacholdervorräte gering zu halten.

Lina, Erwins Freundin, besucht ihre Schwester auf der Insel Oddinsee. Sie schreiben sich regelmäßig, doch plötzlich bricht der Kontakt ab. In der Zeitung liest man zudem von einer unbekannten Toten, die an den Strand der Insel gespült wurde. Erwin plant nun das Revolutionäre: Das erste Mal in seinen ca. 60 Lebensjahren will er Bramschebeck und Umland verlassen! Zusammen mit den oben beschriebenen Gestalten und natürlich den drei Enten macht er sich auf den Weg zu seiner geliebten Lina und deren Schwester. Als sie auf der Insel ankommen, ist der Hof bis auf die Feriengäste verwaist. Nun beginnt die Suche, die Erwin und seine Freunde mal wieder in gefährlichste Gefahr bringt…

Mehr will ich nicht verraten, nur so viel: Es wird wieder abstrus und unterirdisch (nicht als Wertung, sondern im wahren Wortsinn). Schweres Geschütz wird aufgefahren.

… und das ist dann wieder das, was mich stört. Natürlich ist es richtig und gut und nett und schön, das Klischee des „Eiapopeia-Landkrimis“ aufzubrechen und durch die sonderlichsten Monstrositäten zu ironisieren. Aber… hm… mich kriegt’s nicht so. Und dabei finde ich Enten großartig. Nicht nur mit Soße.

Thomas Krüger: Erwin, Enten & Entsetzen, München (Heyne) 2015, ISBN: 978-3-453-41876-9, 9,99 € (Taschenbuch)

Die unglaubliche Reise des Smithy Ide

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_20160528_114212.JPGDieses Buch habe ich irgendwann als Mängelexemplar auf einem der üblichen Grabbeltische gefunden. Nachdem ich es gelesen hatte, hing ich ihm noch recht lange nach und gurkte ein wenig durch das Internet. Ich fand eine Rezension, die (sprachlich schlecht) dieses Buch als „langweiligstes Buch, dass (sic!) ich je gelesen habe“ niedermachte. Diese ließ mich in Zorn entbrennen und ich holte über die mir verfügbaren Kanäle zum Gegenschlag aus, der aufgrund der (schlecht gemachten) Thalia-App fehlschlug. Nun ja. Egal. Jetzt versuche ich hier noch einmal, eine Lanze für dieses Buch zu brechen.

Zugegeben, es liest sich etwas schleppend an. Aber das ist genau das, was dieses Buch ausmacht: Das gemäßigte Tempo. Fangen wir aber beim Anfang an:

Smithy Ide wächst in Rhode Island auf. Wir lernen ihn als Mittvierziger kennen: Raucher, Alkoholiker, fett und mit dem Leben soweit fertig lebt er in einer Wohnung, die er hasst und macht mit den Eltern gemeinsam Urlaub in einem Haus am See. Während er noch einen Tag dort bleibt, um still weiter zu trinken, verunglücken seine Eltern auf der Heimfahrt tödlich. Mehr in einem Nebel nehmen wir – zusammen mit dem alkoholisierten Smithy – war, was geschieht. Langsam bekommen wir erste Einblicke in die Familie des Protagonisten.

Langsam. Da haben wir es wieder – das Buch beginnt langsam. Es nimmt erst Fahrt auf, als auch Smithy Fahrt aufnimmt – und zwar mit seinem Fahrrad aus Kindertagen, das er in der Garage findet. Nachdem er in der Post seiner Eltern einen Brief aus Los Angeles gefunden hat, dass auch seine (vermisste) Schwester verstorben ist, macht sich Smithy mehr oder weniger spontan bis ungeplant (und vielleicht auch unbewusst) auf die Reise mit dem Fahrrad durch ganz Amerika – von Rhode Island im Nordwesten nach Kalifornien.

Die Reise, die wie ein kurzer Ausflug beginnt, ist natürlich nur bedingt die Reise zu seiner verstorbenen Schwester, vielmehr ist sie eine Reise zu sich selbst. Wir erfahren in Rückblicken viel über die schönen Tage der Kindheit, aber auch über das Leid, dass die Schizophrenie der Schwester über die Familie brachte. Wir erfahren viel über die Umstände, wie Smithy, der ein schmächtiger, sportlicher Junge war, zu einem lebenssatten, fetten Alkoholiker wurde – und wir erleben gemeinsam mit dem Protagonisten, wie er – auch mithilfe zahlreicher interessanter Begegnungen – wieder zu sich selbst findet, schlussendlich sogar zu einer Liebe, die bis in die Kindertage zurückreicht.

Tritt für Tritt radelt sich Smithy Ide die Seele frei von den Gespenstern der Vergangenheit. Das Tempo des Buches ist – wie ich meine – dem Erleben des Ich-Erzählers angeglichen. Zunächst sehr behäbig und nahezu verschwommen geht es los, wird immer frischer und klarer auf der Reise. In der Botschaft und der Story ähnelt es sicherlich der „Unwahrscheinlichen Pilgerreise des Harold Fry“, über die ich vor Längerem berichtet habe. Und doch ist es ganz anders. Mich hat’s jedenfalls gepackt. Und ich war wirklich skeptisch, da ich jedem Buch gegenüber, das nicht in England spielt (und dann auch noch Amerika!), skeptisch bin.

Ich wünsche viel Freude dabei. Man entdeckt sich (zumindest mir ging es so) oftmals auch selbst in vielen der kleinen Erkenntnisse entlang der Reise.

Auf dem Menüplan finden sich folgende Angaben:

Ron McLarty: Die unglaubliche Reise des Smithy Ide, München (Goldmann) 2008 (6. TB-Aufl.), ISBN: 978-3-442-46558-3, sofern nicht vom Grabbeltisch: 8,95 €.

Totgesagte…?

Zeit- und Lustlosigkeit sowie der Glauben an die absolute Nutzlosigkeit meiner Gedanken für eine (mehr oder weniger) breite Öffentlichkeit haben mich hier nun für über zwei Jahre verstummen lassen. Ich habe heute morgen versucht, den Blog zu löschen, scheiterte dabei aber. Und da ich der Meinung bin, dass die still vor sich hin schwärenden Geschwüre dieser „Alles-anfangen-und-nichts-weiterführen“-Krankheit, von der ich befallen bin, entweder ausgebrannt oder gepflegt gehören, bleibt mir nichts anderes übrig, um diesen Vormittag zu nutzen und ein Lebenszeichen in den Äther zu blasen.

Vielleicht ist dieses Lebenszeichen nur ein Aufbäumen, bis ich nach weiteren zwei stillen Jahren endlich den Delete-Button  gefunden habe – wer weiß? Gelesen habe ich inzwischen eine ganze Menge (und doch lange nicht so viel, wie ich gerne wollte), erlebt noch mehr. Ob das alles so erzählenswert ist, ist und bleibt die große Frage.

Also. Schau’n wir mal, wie die Totgesagten so leben.

Thomas Meyer: Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse

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Dit Buch ha‘ick mir in Berlin jekooft. Dort war ich mit dem Seminar auf Abschlussfahrt und wir besichtigten einiges, unter anderem auch das Holocaust-Mahnmal. Im dazugehörigen Shop, der einige wirklich gute Bücher zum Thema Judenverfolgung/3. Reich im Angebot hat, erstand ich eben jenes Buch. Zugegeben, die Thematik hat mit Judenverfolgung und Drittem Reich rein gar nichts zu tun – aber es klang einfach gut und musste mit.

Worum geht es also? Der junge orthodoxe Motti (das ist die Koseform von Mordechai) lebt in Zürich und studiert (irgendwas mit Wirtschaft). Nebenbei arbeitet er bei der Versicherung seines Vaters. Seine mame (jid.: Mutter) versucht, eine passende Frau für ihren Sohn zu finden, doch leider ist dieser mit keiner der Dargebotenen einverstanden. Die Frauen aus der Zürcher Gemeinde scheinen ihm alle der Mutter zu ähnlich: Dicker tuches (Hintern) und ansonsten eher uninteressant. Auch der Versuch, sich mit einer Leidensgenossin zusammenzutun und so den Vermittlungsversuchen der Mutter zu entgehen, scheitert, wird doch die Planung der chassene (Hochzeit) nun zur omnipräsenten Plage.
Motti reist sogar nach Tel Aviv, um dort mithilfe seines nicht ganz so orthodoxen Onkels ein mejdele (Mädchen) zu finden. Allerdings läuft nicht alles ganz nach Plan und Motti stellt seine orthodoxen Wurzeln in Frage – denn da gibt es auch noch Laura, eine gojete (Nichtjüdin). Sie studiert zusammen mit Motti und ganz besonders ihr tuches hat es ihm angetan…

Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse beschreibt eine Entwicklung, die Entwicklung Mottis vom orthodoxen Juden mit zu kurzen Hosen und zu langen Ärmeln zu einem modernen Juden, der sich immer mehr aus der orthodoxen Enge seines Elternhauses befreit. Der Roman ist leicht und schön geschrieben und gibt wunderbare (und auch komische ) Einblicke in das Leben eines jungen orthodoxen Juden in der modernen Welt. Das Buch ist durchgehend mit jiddischen Ausdrücken gespickt und somit anfangs etwas schwer zu lesen, man findet sich jedoch sehr schnell ein. Im Anhang findet sich auch ein Glossar (und ein Rezept fir mame Wolkenbruchs Matzen-Knajdlech – Me ken lekn di finger!).

Dieses Buch ist jedem zu empfehlen, der Freude an Ent- und Verwicklungen hat und der sich selbst nicht immer so unbedingt ernst nehmen muss. Tiefergehende Kenntnis jüdischer Kultur sind nicht grundlegend nötig, erleichtern jedoch manches und ermöglichen vertieftes Schmunzeln.

Erschienen ist der Roman 2012 bei Diogenes, er hört auf die ISBN 978 3 257 24280 5 und kostet zehneuroneunzich.