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Dieser historische Roman fiel mir in einem Geben-und-Nehmen-Regal in die und es klang so gut, dass ich es erst einmal in meine Nachttischschublade steckte und dort vergaß, bis…. Ja, bis wir anfingen, zu renovieren und ich „dat Konsölschen“ ausräumen musste. Und dann fing ich an, zu lesen und es ließ mich nicht mehr so richtig los. Auch wenn es teilweise schon an Arbeit grenzte, war dieser Roman ein erwähnenswertes Leseerlebnis.
Ich las ihn auf Englisch und stellte jetzt erst fest, dass er unter dem Titel Der Fluch der Gaukler auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Da englische Bücher auf mich immer noch eine gewisse, besondere Magie wirken, mag mein hier dargestelltes Urteil getrübt sein. Ich habe mir schon öfter Gedanken darüber gemacht, woran das liegen könnte, und ich bin inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass der Grund ist, dass ich Englisch einfach nicht so gut beherrsche wie meine Muttersprache – und dadurch nicht so schnell bemerke, wenn ein Buch nicht ganz so wundervoll geschrieben ist. Sprachliche Mängel oder Langatmigkeiten und durchschaubar fadenscheinige Formulierungen stören meinen Lesegenuss auf Deutsch regelmäßig, im Englischen fallen sie mir einfach nicht auf, da greift manchmal auch die Phantasie ein, um Lücken zu stopfen oder über sprachliche Gräben zu springen. Das macht das Leseerlebnis dann bildgewaltiger, angenehmer, wenn die Lücken kaschiert werden. Eine andere, sinnvolle Erklärung habe ich nicht dafür.
Company of Liars ist ein historischer Roman, der im England des 14. Jahrhunderts spielt. Eine buntgemischte Gruppe von Gauklern, Schaustellern und zwielichtigen Gestalten findet sich nach und nach zusammen, um vor der sich immer weiter ausbreitenden Pest Richtung Norden zu fliehen. Darunter ein einäugiger Reliquienhändler, ein junges Pärchen auf der Flucht, eine Hebamme, ein Zauberer, ein einarmiger Geschichtenerzähler, ein italienischer Barde mit seinem Schüler – und ein sonderbares Mädchen, das in den Runen die Zukunft lesen kann.
Die Mischung macht’s hier – und es ist wirklich ein schillerndes Trüppchen. Keiner traut dem anderen so richtig, alle sind auf ihre Art verschlagen und/oder sonderlich. Und – wie der Titel schon sagt: Sie alle sind (auf ihre Weise) Lügner. Jeder trägt ein Geheimnis mit sich, jeder hat andere betrogen und jeder rechtfertigt sich dafür anders. Anderen Menschen eine gute Geschichte zu präsentieren, bis man sie selbst glaubt, Menschen, denen es schlecht geht, Hoffnung zu geben oder sie mit Illusionen zu verzaubern – das ist das Handwerk dieser Gruppe. Immer tiefer wird die Gruppe auf ihrer Reise in den Strudel ihrer Lügen gezogen, verfolgt vom unreinen Gewissen, das auf ganz besondere Art über sie hereinbricht.
Und das alles findet statt in der historischen Kulisse des verregneten Pestjahres 1348, anschaulich wird geschildert, wie es sich mit der „Romantik des fahrenden Volkes“ verhielt – sie war schlicht nicht vorhanden, gerade in diesen Zeiten, in denen nicht einmal die Bauern genug Ernte einbrachten, um sich selbst zu versorgen. Eine zutiefst trübe, kalte und abstoßend grausame Zeit wird hier aufgezeigt, dabei kommt der Roman trotz einiger Grausamkeiten ohne die gattungstypische Vergewaltigerei und andere blutrünstige Schlachtereien aus. Leichen gibt es, auch zweifelhafte Hygiene und Verwesungsprozesse werden thematisiert, aber der Grusel, der aufkommt, verbreitet sich auf andere Weise: Er schleicht sich leise an, spielt mit Urängsten, bleibt aber dabei subtil und ist gut gemacht. Ich grusele mich beim Lesen nicht gerne und sehr selten. Hier lief mir schon der eine oder andere Schauer über den Rücken – und das war gar nicht so schlecht.
Und trotzdem, ganz ungeschoren soll der Roman hier nicht davonkommen. Es gab schon einige Punkte, vor denen zu warnen ist. Wer einen „reinrassigen“ historischen Roman erwartet, wird hier ob der eingewobenen Übernatürlichkeit Probleme bekommen. Für Phantasiefans geschieht hier eindeutig zu wenig. Und so bleibt unklar, ob und inwieweit hier nun überhaupt Unnatürliches geschieht oder schlicht Wahnsinn den Verstand benebelt. Eigentlich ist es ja schön, wenn genau das ungeklärt bleibt (davon leben E.T.A. Hoffmanns Werke schließlich seit 200 Jahren) – aber man muss das aushalten wollen. Wenn ich nicht dienstlich lese, habe ich da eigentlich gerne Klarheit. Nun ja…
Wer Überraschungen liebt, wird vom überraschenden Ende des Romans auch nicht recht überrascht sein – dafür klappern die sacht eingestreuten Hinweise zu laut auf dem Pflaster. Außerdem – das gebe selbst ich zu, der ich ein großer Fan von Büchern bin, „in denen nichts passiert“: Es hat seine Längen. Atmosphärisch mag das sinnvoll sein, aber… – einfach nur aber.
Hinterher hat man schon das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Wie beim Sport. Und auch das kann ein Gewinn bei Lektüre sein.
Ein kurzes Fazit: Ich würde es wieder tun – und werde das auch. Wenn mir wieder danach ist. Jetzt liegen erst einmal andere Bücher auf dem Stapel. Aber Karen Maitland hat noch andere Romane verfasst, wohl in einem ähnlichen Stil (über Informationen und Meinungen freue ich mich natürlich immer), unter anderem The Owl Killers oder The Raven’s Head. Klingt gut und sieht hübsch aus (schließlich ist das auch wichtig). Ich werde im englischen Original bleiben. Ist einfach schöner, und wenn ich mir das auch nur vorgaukle – schließlich sind wir ja alle irgendwie Mitglieder in der Company of Liars…
Karen Maitlands Company of Liars ist auf Deutsch unter dem Titel Der Fluch der Gaukler beim Scherz-Verlag erschienen (ISBN: 978-3502181020).